• Preisverleihung 2018

Nomadische Lebensweisen Forschungstagebuch Tag 3

Wer aufmerksam unseren Blog liest, kann sich an das Forschungstagebuch, Tag eins und Tag zwei erinnern. Tag eins ist nun tatsächlich schon ein Jahr und drei Monate her (vgl. http://obdachlosen-uni-berlin.de/forschungstagebuch-des-vagabundinnenforschers-tag-1), dann folgte irgendwann Tag 2 (vgl. http://www.obdachlosen-uni-berlin.de/welcher-wohnungslose-typ-bist-du-forschungstagebuch-tag-2) und heute ist dann wohl Tag 3. Es gibt noch immer keine Lösungen, sondern lediglich ein Zwischenstand, Gedanken die ich mir gemacht habe.

Eine Forschungsfrage wurde formuliert und zwar:

"Was bedeutet heute ein gesellschaftlicher Ausstieg hin zu einer nomadischen Lebensweise, was sind die Beweggründe und unter welchen Voraussetzungen besteht der Wunsch zum Wiedereinstieg (ReInklusion)?"

mit folgender Unterfrage:

"Wann wird die gesellschaftlich ausgestiegene, nomadische Sozialfigur von der modernen Mehrheitsgesellschaft als Aussteiger*in gesehen, die es zu inkludieren gilt und unter welchen Gegebenheiten ist dieser gesellschaftliche Typus längst Teil der Mehrheitsgesellschaft geworden?"
 
Zur Kontrastierung werden Antworten auf diese Frage bei Menschen in Unterkünften der Wohnungslosenhilfe als auch bei Menschen, die von sich selbst sagen, sie seien (digitale) Nomaden und bei Menschen, die sich irgendwo dazwischen aufhalten, gesucht – also bspw. auch bei Menschen, die z. B. mal einen Job im Ausland annehmen und vorübergehend im Auto oder Zelt schlafen oder sich als Digitalnomade ausprobieren und sicherheitshalber noch ein WG-Platz zuhause gesichert haben. Es werden Personen interviewt, die als sich selbst als nomadisch oder vagabundisch einschätzen würden bzw. von außen betrachtet, eindeutig dieses Leben zumindest phasenweise leben. Dabei soll die relative Freiwilligkeit als Eingrenzung der zu befragenden Personen gelten. Mit relativer Freiwilligkeit meine ich, dass die Interviewten eine nomadische Lebensweise oder –phase bewusst gewählt haben, auch wenn die Voraussetzungen und der Grad der Freiwilligkeit durchaus voneinander abweichen.
 
Heutiger Stand  (13.04.21). Niemand von meinen bisherigen Gesprächspartner*innen behauptet von sich, sie/er sei aus der Gesellschaft ausgestiegen. Es war mehr ein schleichender Prozess auf der Suche nach
 

- Selbstbestimmung, eigenes Ding machen wollen

- Recht auf Müßiggang und Faulsein

- in Ruhe gelassen werden, Zurück ziehen dürfen in Rückzugsräume, untertauchen und "unsichtbar" machen

- Verweigerung des (wirtschaftlichen) "Wachsen müssens"

verbunden mit einem minimalistischen Lebensstil, also wenig auszugeben,

und/oder nach einer Krise (Gefühl der Überarbeitung, Job verloren, Geschäftsidee hat sich überholt oder partnerschaftliche Krise).

Niemand hat (bisher) den Wusch geäußert, wiedereinzusteigen, da sie sich gar nicht als Aussteiger*in gefühlt haben.

Interessant fand ich, was ich mit "Unsichtbar machen versus sich zeigen" überschreiben möchte, also

  1. Die oder der (typische) Obdachlose (wenn es das überhaupt gibt) ist ständig im Stress, muss sich auf Ämtern melden, wird so gar nicht in Ruhe gelassen, muss Schlange stehen im Obdachlosen-Asyl und strategisch handeln, um einen Schlafplatz zu bekommen, muss eine gute Verkaufsstrategie entwickeln, um ihre/seine Straßenzeitung loszuwerden etc. Sie oder er hat keine Rückzugsräume, denn entweder sie oder er ist in Gemeinschaftsräumen (Teestube, Schlafräume etc.) oder im öffentlichen Raum bzw. auf dem Sofa bei Bekannten. Die einzige Möglichkeit des Rückzugs ist dementsprechend vielleicht im Wald oder in Verstecken in der Stadt ("Schlupfwinkel").
  2. Diese oben benannte Zurückgezogenheit, Selbstbestimmung, Müßiggang etc. wird andererseits zum Medienereignis auf den sozialen Netzwerken des digitalen Nomaden (#Rückzugsort, #vanlifed #nomadlist #minimalist), d. h. das "unsichtbar machen" wird sichtbar gemacht.

So viel für heute, bleibt gesund! Wer Ideen und Hinweise hat, melde sich gern bei mir.

per E-Mail: obdachlosenuni@outreach.berlin

oder Kommentar hier im Blog

oder auch https://de-de.facebook.com/ObdachlosenUni/

oder https://twitter.com/ObdachlosenUni

oder www.instagram.com/vagabund_innenforscher/

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