Schon länger haben wir vor, einen Journalismuskurs anzubieten - nun versuchen wir einfach gemeinsam eine Zeitung herauszugeben um Journalismus beim "machen" zu lernen. Wir sammeln Bilder, Zeichnungen, Texte, Ideen, von Euch, die Ihr in einer Zeitung der Obdachlosen-Uni veröffentlichen möchtet. Wir unterstützen Euch von der Ideenfindung bis Umsetzung, aber auch beim Feinschliff Eurer Gedanken und Texte, sowie bei Zeichnungen und Fotografie. André unterstützt Euch dabei, die Zeitung, wenn sie dann mal gedruckt ist, an die Frau / an den Mann zu bringen. Klingt gut? Ist gut! Mehr Infos hier: http://obdachlosen-uni-berlin.de/gemeinsam-zeitung-machen-lernen
Und ja, falls Sie eine Veranstaltung haben und Sie möchten, dass wir aus Sicht von (ehemals) Obdachlosen darüber berichten - laden Sie uns einfach ein! Wir rücken mit Kamera, Stift und Block an.
Hier finden Sie nun den fünften Artikel, quasi als Vorabveröffentlichung. Autor_in diesmal: Udo Biesewski, Straßenzeitungsverkäufer in München.
(ACHTUNG und Nachtrag vom 30.01.2019, 11:30 Uhr. Über Facebook erreicht uns eine Nachricht. "Es hat seine Gründe warum dieser bei Biss entlassen wurde. Seine Angaben, entsprechen nicht der Wahrheit." Die Inhalte der Gastbeiträge wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Den Wahrheitsgehalt des Textes von Udo Biesewski können wir nicht näher überprüfen. Wir glauben zunächst, was Herr Biesewski uns mitteilt und bieten ihm hier Gelegenheit zur Veröffentlichung. Auch ein Artikel in der taz lässt an den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Udo glauben (vgl. https://taz.de/Muenchner-Strassenzeitung-in-der-Kritik/!5033092/) Wir lassen uns gern eines Besseren belehren und sollte sich rausstellen, dass die Aussagen von Hrn. Biesewski nicht wahr sind, so werden wir dies hier entsprechend richtig stellen.)
Straßenzeitung aus aller Welt
2009 war meine Gesundheit am Ende. Ich hatte Rheuma und Lungenknoten, aber aufgeben kam für mich nicht in Frage. Mit Harz 4 suchte ich eine Arbeit und kam zur Münchener Straßenzeitung BISS in München. 10 Zeitungen und Ausweis regeln, wo ich verkaufen darf und wo nicht. Ich stand auf der Straße jeden Tag 5 bis 8 Stunden und verkaufte 1 bis 2 Zeitungen in der Stunde und manchmal keine, bekam nur etwas Trinkgeld. Ich suchte mir Supermärkte und schon war es besser.
So kam ich 2011 auf 400 Zeitungen im Monat und wurde 2011 als Verkäufer angestellt. 400 Zeitungen und 21 Stunden in der Woche. Arbeiten musste ich 40 Stunden in der Woche, denn man musste die 400 schaffen, Lohnfortzahlung gab es nicht. Rechtlos mit Arbeitsvertrag. Ab und zu gab es etwas Bargeld. Die Top-Verkäufer an den besten Plätzen verkauften 1200 und mehr Zeitungen im Monat.
Gegen die Ungerechtigkeit und das Unsoziale wollte ich vorgehen. Einen Betriebsrat gründen und meine Rechte einfordern. Das führte 2014 zu einer Kündigung. Mir wurde der Ausweis weggenommen und man verbot mir weiter Zeitungen zu verkaufen. Ab und zu verkaufte ich an meinen Supermärkten weiter, meine Stammkunden standen zu mir.
2016 entstand eine neue Zeitung für München, die „Charity“. Nun verkaufte ich oft beide, biss und Charity. Das gefiel der Leitung von biss gar nicht. 2017 verkaufte ich das erste Mal eine Zeitung aus Berlin. 10 Stück waren recht schnell weg. Mit BISS und Charity verkaufte ich immer mehr. Leider ist der Verdienst gering, da ich die Zeitung meist nur bei anderen Verkäufern kaufe zu 2 Euro und die verkaufe ich dann für für 2.20 Euro. Das Trinkgeld macht es aber.
So kam ich 2018 auf die Idee, auch ausländische Zeitungen zu verkaufen. Die erste aus Salzburg war sehr gut. Und 20 Exemplare aus Chicago. Diese waren bei meinem Supermarkt in einer Stunde weg. Nun machten mir die Münchener BISS und die Hamburger Straßenzeitung „Hinz und Kunzt“ etwas Stress.
So ging ich zur IHK wegen einer Beratung. Da gab es erstmal Kopfschütteln. Doch die Idee, ein Gewerbeverkauf von Druckerzeugnissen mit Reisegewerbe, ging mit nicht mehr aus dem Kopf. Ausgerüstet mit vielen Infos ging es zum Gewerbeamt. Das war neu, aber alles in Ordnung. Auch beim Finanzamt war es neu, aber ich bekam eine Steuernummer und alles war gut. So konnte ich jetzt alle Zeitungen verkaufen, die es gibt in der Stadt und auf Privatgelände.
Gut, der Umsatz ist gering, doch ich habe mir einen Namen gemacht als der 1. Verkäufer der verschiedene Straßenzeitungen verkauft. Es gab und gibt noch ab und zu Ärger mit BISS-Verkäufern. Die rufen die Polizei. Doch immer staunen sie, dass bei mir alles in Ordnung ist. Ich darf weiter verkaufen zur Freude vieler Kunden. Die Neugier macht es.
Viele BISS-Verkäufer freuen sich, auch wenn ich bei denen 20 Zeitungen nehme, so schaffen diese ihre Stückzahl. Jetzt sind wir in München schon 3 mit Gewerbeschein; alles ehemalige BISS Verkäufer. Das Trinkgeld macht´s und ich mache Werbung für mich, da ich auch Suchtprävention in Schulen mache und Stadtführungen über das soziale München. Das mache ich ehrenamtlich.
Viele nehmen Zeitungen und geben Hygiene-Artikel, die ich an andere Obdachlose weitergebe. Seit 6 Monaten bin ich selbst im Vorstand eines Vereins, mit dem wir uns um Obdachlosen und Arme kümmern; seit 1 Monat sogar mit einem Kältebus zum Verteilen von Essen, Schlafsäcken und warmer Kleidung.
Auch wenn man nicht viel hat, kann man teilen. Es macht Spaß und bringt einen selber dem Leben näher. Das alles ehrenamtlich und finanziert mit dem Verkauf von Straßenzeitungen aus aller Welt.
Udo Biesewski - Freiheit heißt Leben. Nimm es Dir.
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