Schon länger haben wir vor, einen Journalismuskurs anzubieten - nun versuchen wir einfach gemeinsam eine Zeitung herauszugeben um Journalismus beim "machen" zu lernen. Wir sammeln Bilder, Zeichnungen, Texte, Ideen, von Euch, die Ihr in einer Zeitung der Obdachlosen-Uni (oder auch in einem Hörbeitrag) veröffentlichen möchtet. Adrian und Rainer unterstützen Euch von der Ideenfindung bis Umsetzung, aber auch beim Feinschliff Eurer Gedanken und Texte, sowie bei Zeichnungen und Fotografie. André unterstützt Euch dabei, die Zeitung, wenn sie dann mal gedruckt ist, an die Frau / an den Mann zu bringen. Klingt gut? Ist gut! Mehr Infos hier: http://obdachlosen-uni-berlin.de/gemeinsam-zeitung-machen-lernen
Und ja, falls Sie eine Veranstaltung haben und Sie möchten, dass wir aus Sicht von (ehemals) Obdachlosen darüber berichten - laden Sie uns einfach ein! Wir rücken mit Kamera, Stift und Block an.
Hier finden Sie nun den vierten Artikel, quasi als Vorabveröffentlichung. Autor_in diesmal: Carlotta Döring und Samuel Franzen, Studierende der Sozialen Arbeit an der KHSB im dritten Semester.
Ein Einblick in die Obdachlosen-Uni
Im Laufe der Zusammenarbeit mit der Obdachlosen-Uni haben wir uns dazu entschlossen, gemeinsam eine Zeitung zu veröffentlichen, die vor allem obdachlosen und wohnungslosen Menschen zugänglich sein soll. Zum einen wollen wir dadurch informieren und die Leser*in über verschiedene Bereiche aufklären, zum anderen wollen wir jeder Leser*in auch die Möglichkeit geben, die Zeitung durch eigene Beiträge mitzugestalten. Doch was ist überhaupt die Obdachlosen-Uni? Wir möchten diesen Artikel für eine Vorstellung dieses Projektes nutzen, um mehr Aufmerksamkeit für die Obdachlosen-Uni zu wecken und noch weitere Menschen dazu anzuregen, dieser einen Besuch abzustatten.
Das Projekt entstand 2011 durch eine Initiative des Kommunikationswirts und Bloggers Maik Eimertenbrink. Mithilfe verschiedener sozialer Organisationen und Trägern (wie zum Beispiel der „MUT Gesellschaft für Gesundheit mbH“ oder dem „Verband für sozial-kulturelle Arbeit“) erstellte er das Konzept einer Obdachlosen-Uni in Berlin. Hier sollte es vor allem für wohnungslose Menschen die Möglichkeit geben, sich in einem offenen Rahmen in verschiedenen kostenfreien Seminaren weiterzubilden oder diese anzuleiten - ganz nach dem Vorbild einer Universität. Maiks Grundidee war hierbei, dass obdachlose Menschen voneinander lernen und füreinander lehren. Die Zielgruppe wurde von Anfang an aktiv in den Entstehungsprozess mit eingebunden. Hierfür wurden Fragebögen in verschiedenen Wohnungsloseneinrichtungen verteilt, in denen die Bewohner*innen unter anderem Themen vorschlugen und angaben, ob sie lieber als Teilnehmende oder Anleitende an den Kursen mitwirken möchten. Das Projekt richtete sich also sehr stark nach den Wünschen und Vorlieben der Teilnehmenden. Dadurch kam eine bunte Mischung an Thematiken zustande und nach und nach etablierten sich verschiedenste Kurse. Einige Seminare orientieren sich stark am Thema der Obdachlosigkeit, so erzählen ehemals obdachlose Menschen, wie sie vom Leben auf der Straße weggekommen sind oder geben Überlebenstipps für andere obdachlose Menschen. Doch daneben gibt es auch zahlreiche Kurse, die Hobbys vorstellen, zum Nachdenken anregen oder gezielt Wissen vermitteln. So wird zum Beispiel Theater gespielt, gemeinsam gekocht, über Philosophie und Religion geredet und miteinander Englisch gelernt. Ein Merkmal der Obdachlosen-Uni ist das offene Konzept; jeder Mensch der will, kann die Seminare besuchen, egal ob er aus einem Umfeld der Obdachlosigkeit kommt oder nicht. Außerdem kann jeder, der eine Idee hat oder ein Hobby mit anderen teilen möchte, einen Kurs anbieten. Die Kurse finden dabei immer in verschiedenen Einrichtungen statt, die von Bibliotheken über Obdachlosenunterkünfte zu Einrichtungen der Berliner Stadtmission oder öffentlichen Orten reichen.
Im Rahmen dieses Artikels haben wir uns mit Gründer Maik Eimertenbrink getroffen und mit ihm über die Entwicklung, Finanzierung und Auswirkung der Obdachlosen-Uni geredet.
Mit welchem Ziel hast du die Obdachlosenuni gegründet? Gab es eine Situation, die deine Entscheidung hervorgerufen hat?
Ich bin ja Kommunikationswirt und nicht Sozialarbeiter und hab im Studium gelernt, wie man Umfragen macht. Ich wollte eigentlich eine Umfrage erstellen, was Obdachlose interessiert und was sie weitergeben können. Ich wollte eine Broschüre erstellen, abgeben und dann die nächste Umfrage machen. Damals war die Wohnungslosenthematik nicht meine oberste Agenda, sondern ich fand es einfach nur interessant. Als ich die Ergebnisse vorgestellt habe, haben die Wohnungslosen, die interviewt wurden, gesagt: „Ja, was soll ich jetzt mit der Broschüre anfangen, lass uns mal mit den Kursen loslegen“. Ich hab gesagt ich mache es erstmal, bis jemand Professionelles übernimmt und so ging das dann von 2012 bis 2017. Ende 2017 konnte ich das dann nicht mehr zeitlich und ehrenamtlich und dann kam die Idee, nochmal einen Antrag zu stellen und das bezahlt zu machen. Nach und nach habe ich die Wohnungslosen, die ich kennengelernt habe, lieben gelernt und fand toll, was sie auf die Beine stellen, was man mit ihnen zusammen auf die Beine stellen kann und wie sich interessante Gespräche entwickeln.
Wie zugänglich sind die Kurse für obdachlose Menschen, die nicht in den befragten Unterkünften leben?
Sie sind offen für alle – das ist eine Grundvoraussetzung, um einen Kurs stattfinden zu lassen. Es dürfte jeder rein, auch Leute, die nicht da wohnen, aber die erreicht man auch schwerer. Es gibt immer mal Überlegungen irgendwas irgendwo anders zu machen, also draußen, zum Beispiel der Vagabundenkongress nächstes Jahr. Da könnte man auch mal andenken, einen Kurs zu machen. Und ansonsten gibt es den Gedanken an der Lichtenberger Platte was zu machen, am Bahnhof. Da ist auch beim Tagestreff in der Weitlingstraße draußen was, so dass man da vielleicht eher die Leute hinkriegt. Wenn man draußen einen Kurs machen würde, würden viel mehr Leute kommen.
Wie können vor allem Menschen, die nicht in den Einrichtungen leben noch besser erreicht werden?
Wir haben schon Plakate an den Hotspots aufgehängt und hatten auch Flyer dabei. Das ist halt mühselig, aber schon wenn einer kommt, ist es die Mühe wert gewesen. Man versucht schon mal hier und da was, muss sich halt organisieren. Plätze, Räume und Ideen gibt es immer viele, aber dazu muss man auch die Kapazitäten haben.
Inwiefern werden die Kurse auch von Menschen besucht, die nicht aus dem Umfeld der Obdachlosigkeit kommen? Mit welcher Motivation nehmen sie an den Kursen teil?
Die Entwicklung geht dahin, dass Menschen von außerhalb teilnehmen und obdachlose Menschen kennenlernen wollen. Das war ja eigentlich gar nicht die Idee, sondern dass Obdachlose anderen Obdachlosen etwas beibringen. Sie sind interessiert, was ich super finde, aber es darf natürlich kein Zoo werden, da muss man aufpassen. Ich möchte nicht, dass es das Oberziel wird. Aber die Sachen können sich entwickeln und wenn schöne Sachen passieren, dann passieren halt schöne Sachen, auch wenn es nicht mein Vorhaben war. Trotzdem sollte der wohnungslose Mensch noch im Vordergrund stehen.
Welche Voraussetzungen gibt es, um Obdachlosen-Uni-Dozent*in zu werden?
Erstmal, würde ich sagen, kann jeder mitmachen. Man sollte sein Fach verstehen, was erzählen können in seinem Bereich und keine Angst vor Obdachlosen haben, also letztendlich auch irgendwo Empathieträger sein. Man sollte sich reintrauen in die Einrichtungen, mit den Leuten quatschen können und nicht einfach nur sein Programm durchziehen. Es gibt kein Diplom oder sowas, welches man vorzeigen müsste. Aber deswegen muss man natürlich stärker beobachten, weil die Leute nicht, wie an einer richtigen Uni, aufgrund ihres Diploms abgecheckt werden. Dafür habe ich auch noch keine richtige Lösung gefunden, außer menschlichen Verstand. Die Gefahr ist dabei, dass man nach Gutdünken auswählt – Leute, die man mag oder nicht mag. Natürlich soll man sich mögen damit es passt, aber eigentlich ist es kein Auswahlkriterium. Am Anfang gibt es ein Gespräch mit mir und in den Einrichtungen das Gleiche nochmal mit den Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen und dann sind wir schonmal zwei, die mithören und entscheiden. Aber ich sage eigentlich fast keinem richtig ab. Es ist total gut, dass sich jemand ehrenamtlich engagieren will und letztendlich bin ich dankbar für alle, die sich überhaupt melden.
Welche Dinge hast du von dem Projekt bereits mitgenommen? Was hast du von den (obdachlosen) Teilnehmern gelernt?
Also ich lass mich, glaub ich, weniger stressen von Alltagsgeschichten. Ein bisschen Gelassenheit habe ich auf jeden Fall gelernt. Das kommt durch menschliche Vorbilder. Die Leute in den Wohnungsloseneinrichtungen haben mehr Zeit, keinen Druck, sind entspannt und das Gefühl hat sich auf mich übertragen. Ich lass mich nicht mehr verrückt machen von künstlich erzeugtem Stress. Und ich habe gelernt, keine Existenzängste zu haben, weil irgendwie geht es immer weiter. Ich hätte schon fast Lust den Rucksack zu packen und die Welt kennenzulernen, aber soweit habe ich mich dann doch noch nicht getraut.
Was ist dein weiterer Plan für die Obdachlosen-Uni?
Vieles passiert durch Zufall und ich bin dann immer offen, wenn es neue Kooperationsmöglichkeiten gibt oder Ideen. Gerade geht es mir darum, das Projekt wieder zurückholen zu den Wohnungslosen, also auch deren Kompetenzen mehr zu hinterfragen. Was können die wohnungslosen Menschen anbieten aus ihrem Bereich, weil es immer mehr dahin geht, dass sie was von außen lernen. Ich würde gern wieder darüber nachdenken, was man als Mensch, der das nie erlebt hat, lernen kann. Alltagswissen von der Straße zum Beispiel oder Leute interviewen, die absichtlich auf die Straße gegangen sind. Zu hören, warum du auf die Straße gegangen bist und was wir von dir und deiner Lebenseinstellung lernen können. Ich fände interessant, das zu lernen, was diese Menschen speziell macht.
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