• Preisverleihung 2018

Ausgestoßen - erster Artikel für die Obdachlosen-Uni-Zeitung (Vorab-Veröffentlichung)

Schon länger haben wir vor, einen Journalismuskurs anzubieten - nun versuchen wir einfach gemeinsam eine Zeitung herauszugeben um Journalismus beim "machen" zu lernen. Wir sammeln Bilder, Zeichnungen, Texte, Ideen, von Euch, die Ihr in einer Zeitung der Obdachlosen-Uni (oder auch in einem Hörbeitrag) veröffentlichen möchtet. Adrian und Rainer unterstützen Euch von der Ideenfindung bis Umsetzung, aber auch beim Feinschliff Eurer Gedanken und Texte, sowie bei Zeichnungen und Fotografie. André unterstützt Euch dabei, die Zeitung, wenn sie dann mal gedruckt ist, an die Frau / an den Mann zu bringen. Klingt gut? Ist gut! Mehr Infos hier: http://obdachlosen-uni-berlin.de/gemeinsam-zeitung-machen-lernen

Und ja, falls Sie eine Veranstaltung haben und Sie möchten, dass wir aus Sicht von (ehemals) Obdachlosen darüber berichten - laden Sie uns einfach ein! Wir rücken mit Kamera, Stift und Block an.

Hier finden Sie nun den ersten Artikel, quasi als Vorabveröffentlichung von André Hoek, u. a. auch Obdachlosen-Uni-Dozent.

Ausgestoßen

Als Obdachloser gehörst Du nicht mehr dazu. Du bist irgendetwas anderes, aber kein gleichwertiger Mensch mehr. Ich werde manchmal gefragt, was der stärkste Eindruck aus meiner eigenen Obdachlosigkeit ist. Meine Antwort lautet dann immer: “Nichtexistenz”.

Man hört plötzlich auf für die Allgemeinheit zu existieren, wird praktisch unsichtbar. Obdachlose sind wie die Stadttauben. Jeder sieht sie, aber kaum jemand nimmt sie wahr.

Diese Ausgrenzung ist äußerst massiv und wird praktisch von Jedermann betrieben. Von Menschen mit einer Wohnung, aber auch von Behörden und Ämtern und auch von Krankenhäusern oder der Polizei.

Wie macht sich dies im Alltag bemerkbar?

Man kommt zum Beispiel auf einen Bahnsteig und wartet auf die nächste S-Bahn. Und plötzlich rücken alle Leute um einen herum auf Distanz. Man setzt sich in der Bahn und das Paar auf der Bank gegenüber steht plötzlich auf und sucht sich einen anderen Sitzplatz. Und dies auch ohne dass man schlecht riecht, sondern einfach nur weil man äußerlich und am Gepäck als Obdachloser zu erkennen ist.

Wenn man durch die Straßen läuft oder auf einer Parkbank eine Pause macht, wird man massiv mit abwertenden und missbilligenden Blicken bedacht. So gut wie jeder macht einem nonverbal klar, dass man allein mit deiner Anwesenheit und Existenz nicht einverstanden ist.

Am Hauptbahnhof machte ich mal eine Pause vom Zeitungsverkaufen. Ich saß in meinem Rollstuhl am Rand des Platzes und rauchte eine Zigarette.

Da lief eine Gruppe junger Leute auf mich zu. Eine Frau und zwei junge Männer. Schon während sie auf mich zukamen begannen sie über mich zu sprechen und auf mich zu zeigen. Allein ihre Gesichter drückten tiefste Verachtung aus. Kurz bevor sie mich erreichten begannen sie mich zu beschimpfen und zu beleidigen. Als sie etwa auf gleicher Höhe waren, rotzte mir einer der jungen Männer auf die Hose und dann gingen sie, mich weiter beleidigend, einfach weiter.

Ich hatte nichts getan, sondern nur dagesessen und eine geraucht. Das Problem war, dass ich als Obdachloser erkennbar war.

Richtig schlimm wird es, wenn man kein Geld hat und gezwungen ist zu betteln.

Als ich damals obdachlos wurde, hatte ich für die ersten drei oder vier Tage noch ein bisschen Geld. Als dies zu Ende war, setzte ich mich in eine Berliner U-Bahn-Station, stellte mir einen Becher vor die Füße und wartete darauf, dass die Leute mir ein bisschen Kleingeld hinein warfen. Gelegentlich sprach ich auch mal jemanden an und wurde fast immer vollständig ignoriert. Selbst wenn ich nur einen schönen Tag wünschte. Die Leute liefen an mir vorbei, als wenn ich nicht vorhanden wäre. Alle guckten irgendwie zwanghaft an mir vorbei oder taten sonstwas, nur um mich nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Dies passierte später sogar dann, wenn ich irgendwo in der Stadt nach dem Weg oder der Zeit fragte.

Dabei war ich doch wenige Tage zuvor noch ein ganz normaler Mensch gewesen. Wenn ich irgendwo eine Frage stellte, wurde diese in der Regel beantwortet. Als Obdachloser erhielt ich kaum noch adäquate Antworten und wenn, dann schwang auch immer gleich als Unterton mit: “Nun geh aber weiter und belästige mich nicht länger”.

Beim “Schnorren” (Betteln) habe ich so ziemlich jede Gemeinheit erlebt, welche Menschen, immerhin sehr kreative Wesen, sich ausdenken können.

Ich wurde geschlagen (selbst als Rollstuhlfahrer), in gemeinster Weise beleidigt und beschimpft, mir wurden mieseste Motive für meine Situation und für mein aktuelles Handeln unterstellt und noch vieles, vieles mehr.

Oft geschieht es, dass obdachlose Menschen in Krankenhäusern, selbst in akuten Notfällen, nur eine rudimentäre Grundbehandlung bekommen und dann wieder weggeschickt werden.

Mir ging es mal mit einer Nierenbeckenentzündung so. Ich hatte starke Schmerzen und hohes Fieber. In der Bahnhofsmission rief man mir einen Krankenwagen, der mich in die Notaufnahme brachte. Dort bekam ich eine Infusion mit Paracetamol und ein Schmerzmittel. Gegen 22.30 wurde mir mitgeteilt, dass man kein Bett mehr frei habe und ich nun wieder gehen müsse. Ich wies nochmal darauf hin, dass ich im Winter in einem Zelt unter einer Brücke schlafen müsse, doch dies änderte nichts an der Aussage der Ärztin.

Ironischerweise gab man mir noch den Hinweis strengste Bettruhe einzuhalten, da mir sonst ein akutes Nierenversagen drohen könnte. Sprachs, drehte sich um und ging.

In einem Raum saß eine Gruppe von Schwestern und Pflegern bei einer Pause. Ich bat drei Mal darum, ob man mir nochmal Fieber messen könne, wurde jedoch vollständig ignoriert. Also fuhr ich mit meinem Rolli in den Regen hinaus zur nächsten Straßenbahn und legte mich in meinem Zelt hin.

Das ist kein Einzelfall. Jeder Obdachlose auf den Straßen weiß, dass es genau so und nicht anders ist. Dies ist auch oft der Grund, warum Obdachlose nicht mit dem Rettungswagen mitfahren wollen. Sie haben Angst irgendwann mitten in der Nacht schwer krank irgendwo in der Stadt vor einem Krankhaus zu stehen. Manchmal orientierungslos und gehunfähig.

Doch die Ausgrenzung geht noch weiter.

Die Polizei nimmt sehr oft Anzeigen von obdachlosen Menschen einfach nicht entgegen. In akuten Bedrohungslagen wird kein Streifenwagen geschickt, sondern die obdachlosen Leute werden aufgefordert zur Wache zu kommen und dort eine Anzeige zu machen.

So geschehen am Kältebahnhof Lichtenberg an dem ich im letzten Winter als Streetworker gearbeitet hatte. Der betreffende Straftäter hatte im Vorfeld schon unendlich viele Polizeieinsätze ausgelöst und an diesem Abend sogar mich attackiert, weswegen die Polizei kurz vorher schon Mal vor Ort war. Im Anschluß versuchte er Obdachlose über das Geländer zur U-Bahn zu werfen. Für die Polizei kein Grund zu kommen.

Dies hat zur Folge, dass man sich auch bei schwersten Straftaten nicht mehr an die Polizei wendet. Einfach weil es sinnlos ist und man dort sowieso keine Hilfe bekommt.

Auf Ämtern und Behörden verhält es sich ähnlich.

Heute helfe ich Obdachlosen bei der Lösung ihrer Probleme und ich habe es schon sehr oft erlebt, dass ich einen dieser Leute zu einem Amt schickte, mit einem Anliegen, auf das er einen klaren gesetzlichen Anspruch hat. Und wie oft ist es passiert, dass er unverrichteter Dinge wieder vor mir stand. Teilweise mit rechtswidrigen Auskünften.

Wenn ich dann beim nächsten Termin mitgehe, klappt es in der Regel ohne Probleme und anstandslos.

Sehr oft werden Obdachlose auch mit unendlichen Unterlagenforderungen belastet, die für den zu lösenden Sachverhalt keine Relevanz haben. Diese zu beschaffen ist unter den Bedingungen auf der Straße manchmal schlicht nicht möglich. Für ein Papier braucht man plötzlich drei andere oder eine Stelle gibt einen dringend benötigten Stempel nicht heraus, bevor nicht das Papier einer anderen vorliegt. Diese will es aber ohne den Stempel der ersten Stelle nicht ausstellen. Die Menschen geraten dann teilweise in unlösbare Situationen. Und dann kann es passieren, dass Obdachlose sich viele Wochen angestrengt haben und sich an ihrer aktuellen Lebenssituation nicht das geringste geändert hat. Die allermeisten geben dann, aus nachvollziehbaren Gründen, einfach auf.

Und dann gibt es noch die vielen, kleinen und fast schon alltäglichen Gemeinheiten.

Als Flaschensammler wird einem die Abgabe des Pfandgutes im Supermarkt verwehrt, während jeder andere dort seinen Pfand problemlos los wird. Sehr gern wird auch zu dem Mittel des Hausverbotes gegriffen.

Setzt man sich irgendwo in eine Bahnstation ist man den, den oft willkürlichen, Schikanen der Wachleute ausgesetzt. Und grundsätzlich wird man überall hinausgeworfen. Auch im Winter bei eisigen Temperaturen.

Zusätzlich wird man fast immer wie ein nicht ganz zurechnungsfähiger Mensch behandelt. Obdachlose landen, wenn sie denn im Krankenhaus aufgenommen werden, fast immer in der Psychiatrie. Es wird mit einem umgegangen wie mit einem kleinen Kind, dabei hat man doch vorher sein Leben immer gut gemeistert. Hatte Freunde, Hobbys, war im Kegelverein und hat auch im Job seinen Mann gestanden.

Wenn ich auf der Straße mal etwas von meinem Intellekt aufblitzen ließ, fand man dies in der Regel eher niedlich. Fast so wie bei einem Affen im Zoo, dem man beigebracht hatte mit Messer und Gabel zu essen. “ Du guck mal, fast wie ein richtiger Mensch…”.

Als Obdachloser gehörst Du nicht mehr dazu.

Zwischen der Welt der Obdachlosen und der Welt der Menschen mit einer Wohnung, existiert ein unsichtbares Kraftfeld. Man kann alles hören, sehen und riechen, aber man gehört definitiv nicht mehr dazu.

Und das macht was mit einem.

Da dieses Phänomen wirklich massiv ist und sich fast alle so verhalten, akzeptiert man diese Situation irgendwann für sich selbst und beginnt sich auch entsprechend zu verhalten, was das Problem unter dem Strich noch verschlimmert.

Da stellt sich die Frage, was man dagegen tun kann, schon fast von selbst.

Lernen Sie doch Obdachlose einfach mal kennen. Man sieht sie ja wirklich an fast allen Orten in der Stadt.

Spenden Sie einen Euro und fragen ganz einfach mal: “Ich habe ein bisschen Zeit. Wie sieht es bei ihnen aus. Ich gehe da vorn zum Bäcker und hole uns zwei Kaffee?”

Und dann unterhalten sie sich mit ihm, wie sie es mit jedem anderen Menschen auch tun. Ganz einfach ein bisschen Smalltalk.

Natürlich kann es passieren, dass der Obdachlose bei ihrem ersten Besuch noch ein bisschen zurückhaltend ist. Diese Menschen erleben viele schlimme Dinge in ihrem Leben. Wenn dann jemand plötzlich ohne Grund freundlich zu ihnen ist, vermuten sie manchmal irgendeine Schlechtigkeit dahinter.

Doch spätestens beim zweiten oder dritten Besuch, werden sie merken, dass sind ganz normale Menschen, Sie sehen nur nicht mehr so aus, weil sie unter den elenden Bedingungen auf der Straße vor sich hin vegetieren müssen. Vielfach hatten sie einfach nur großes Unglück. Verlust des Lebenspartners, Krankheit, Jobverlust. Alles Dinge, die jeden von uns treffen können.

Seien Sie wenigstens freundlich, wenn sie das nächste mal jemand wegen etwas Kleingeld anspricht, auch wenn sie nichts geben. Der Obdachlose kann nicht wissen, dass Sie an diesem Tag schon drei Mal angesprochen wurden und er muss dies tun, sonst kann er nicht überleben.

Vielleicht “adoptieren” Sie auch einen obdachlosen Menschen.

Lernen Sie ihn kennen und fragen sie doch einfach mal, was er gern hätte. Und Sie werden erstaunt sein, mit welch bescheidenen Wünschen Sie konfrontiert werden. Eine Stirnlampe, die es für fünf Euro in jedem Billigladen gibt, damit er am Abend unter der Brücke ein wenig Licht hat. Manchmal ist es auch ein billiges, batteriebetriebenes Radio. Für einen Obdachlosen ist dies wie ein Tor zur Welt. Er hat keinen Fernseher, kein Internet und selbst für die Zeitung ist oft kein Geld da. Mit einem Radio kann er Nachrichten und den Wetterbericht hören oder vielleicht auch mal ein Fußballspiel am Samstag-Abend.

Manchmal ist es auch nur ein paar warme Socken oder ein frisches T-Shirt…

Lasst uns alle dabei mitmachen, den Menschen auf der Straße wenigstens diesen Teilbereich ihrer schrecklichen Lebenssituation etwas leichter zu machen.

 

André Hoek

 

 

Kommentare

Gespeichert von Lorna Johannsen (nicht überprüft) am/um

hallo Andrè, ich habe in deinem, sehr gut geschriebenem und ins Detail gehendem , Artikel die Frauen vermisst, du schreibst so als gäbe es auf der Strasse nur männliche Menschen, aber so ist es ja nicht, es gibt auch viele Frauen, wäre schön wenn die auch Erwähnung finden würden, ebenso wie die Kinder und Jugendlichen.

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